Erich Ziegltrum (rechts) gehört seit 2003 zum Team, dass sich in St. Goarshausen um die Außenwohngruppen des Edith-Stein-Hauses kümmert. Unter anderem unterstützt er dabei auch Sandra Lehmann, die seit dem plötzlichen Tod ihres Mannes Anfang des Jahres alleine in einer der Wohnungen der Caritas lebt.Caritasverband Westerwald-Rhein-Lahn e.V. / Holger Pöritzsch
Sandra Lehmann und Erich Ziegltrum sitzen am Küchentisch der Altbauwohnung in St. Goarshausen mit herrlichem Blick auf den Rhein und plaudern. Die Stimmung ist gut, und als das Thema Fußball aufkommt, wird sich kräftig geneckt. Kein Wunder: Erich Ziegltrum drückt dem FC Bayern München die Daumen, Sandra Lehmann hingegen ist Borussia-Dortmund-Fan, wie der gelb-schwarze Schlüsselanhänger vor ihr auf dem Tisch unschwer erkennen lässt. Eigentlich eine Konstellation - das wissen Fußballbegeisterte nur zu gut - die gar nicht geht. Bei Ziegltum und Lehmann funktioniert es bestens, "selbst wenn man sich je nach Ergebnis vom Wochenende, montags dann mal den einen oder anderen Spruch gefallen lassen muss", verraten die beiden unisono und lachen. Trotz der rivalisierenden Vereinstreue wird schnell klar: Hier stimmt die Chemie, die zwei sind ein starkes Team.
Erich Ziegltrum arbeitet seit 2003 beim Caritasverband Westerwald-Rhein-Lahn und ist Wohngruppenleiter im Edith-Stein-Haus in St. Goarshausen. Allerdings ist der gelernte Erzieher nicht in der Einrichtung selbst tätig, sondern er ist Teil eines dreiköpfigen Teams, dass sich ausschließlich um die sogenannten Außenwohngruppen des Edith-Stein-Hauses kümmert. Sieben an der Zahl gibt es davon in St. Goarshausen, sie liegen verstreut im Stadtgebiet und unterscheiden sich kaum von normalen Mietwohnungen. Dort leben Menschen mit Beeinträchtigung zusammen, die gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern im Wohnheim, relativ selbstständig sind.
So wie Sandra Lehmann. Die heute 40-Jährige stammt ursprünglich aus Wiesbaden. Als Kind hatte sie einen schweren Unfall, bei dem sie mit dem Fahrrad von einem Auto erfasst wurde. Seither hat Lehmann eine Lernbehinderung. Nach der Schulzeit begann sie im Jahr 2000 in den Caritas-Werkstätten in St. Goarshausen zu arbeiten, wo sie auch ihren späteren Mann Martin kennenlernte. Schon bald entschied sich die junge Frau, zu ihm zu ziehen. "Er wohnte zu dieser Zeit bereits in der Außengruppen-Wohnung des Edith-Stein-Hauses", erzählt sie. Im Sommer 2017 gab sich das Paar dann das Ja-Wort. Alles war bestens. Bis zu jenem Tag im Januar dieses Jahres. Das Paar saß gemeinsam auf dem Sofa, als Martin Lehmann einen Herzinfarkt erlitt und quasi in den Armen seiner Frau verstarb. Auch der sofort herbeigerufene Notarzt konnte nicht mehr helfen. Martin Lehmann wurde nur 42 Jahre alt. "Er war eine Woche vorher noch beim Arzt, da war alles okay", berichtet Sandra Lehmann, die seit diesem Schicksalsschlag alleine mit den beiden Katzen in der gemeinsamen Wohnung lebt. "Am Anfang war es schon sehr schwer", sagt die junge Frau. Mittlerweile kommt sie aber gut klar mit der neuen Situation, kann auf die Unterstützung von Freunden, vor allem aber auch auf das Betreuerteam der Caritas um Erich Ziegltrum zählen.
Selbstständigkeit ist Voraussetzung
Das Leben in einer Außenwohngruppe unterscheidet sich in einigen Dingen von dem im Edith-Stein-Haus. "Im Wohnheim ist eine Rund-um-die Uhr-Betreuung gewährleistet, die gibt es in den Außengruppen nicht. Wir haben zum Beispiel keinen Nachtdienst", erklärt Ziegltrum. Dennoch sind die Betreuer stets erreichbar, schauen mehrfach pro Woche in den Außenwohngruppen vorbei und unterstützen die Bewohnerinnen und Bewohner im Alltag. Das reicht von der Fahrt und Begleitung zum Arzt, über die Hilfe beim Einkaufen, bis hin zum Rasenmähen oder auch dem gemeinsamen Kochen. "Um in einer Außenwohngruppe leben zu können, ist es eine Grundvoraussetzung, dass der Klient eine gewisse Selbstständigkeit mitbringt", erläutert der Wohngruppenleiter. So sind die Bewohnerinnen und Bewohner in den Außenwohngruppen unter anderem in der Lage, die Körperhygiene selbst zu übernehmen, und sie können beispielsweise morgens selbstständig aufstehen, um zur Arbeit zu gehen. "Für die, die es mit dem Aufstehen nicht so haben, gibt es aber auch einen Frühdienst", schmunzelt Erich Ziegltrum. Ansonsten meistern die Klientinnen und Klienten ihren Alltag im Großen und Ganzen selbst.
So wie Sandra Lehmann, die laut Ziegltrum in Sachen Selbstständigkeit die stärkste Klientin in den Außenwohngruppen ist. Gegenüber vielen anderen Menschen mit Beeinträchtigung hat sie beispielsweise auch keinen sogenannten rechtlichen Betreuer. "Ich kommt sehr gut auch alleine zu recht", sagt die 40-Jährige. "Dennoch ist es schön zu wissen, dass immer jemand da ist, wenn ich Unterstützung benötige. Beispielsweise wenn ich mit den Katzen zum Tierarzt muss." Dass die Hilfe dann auch schon mal von einem Bayern-Fan kommt, darüber sieht die eingefleischte Dortmund-Anhängerin mit einem freundlichen Lächeln hinweg…