Eine Düsseldorferin im Westerwald. Liebe Frau Krones, jetzt mal Butter bei die Fische: Wie geht es Ihnen damit?
Mir geht es damit wunderbar. Denn erstmal bin ich keine Düsseldorferin, sondern komme aus dem ländlichen, dem westfälischen Teil des Ruhrgebietes. Ich bin in Niederwenigern und Burgaltendorf aufgewachsen, zwei Dörfern, die durchaus mit den Ortschaften im Westerwald und Rhein-Lahn-Kreis vergleichbar sind. Meine Großeltern hatten große Bauerngärten mit Tierhaltung und allem drum und dran. Dort liegen meine Wurzeln. Und auch heute lebe ich nicht "in Düsseldorf", sondern in Urdenbach, dem selbsternannten "Dorf mit Herz", ganz im äußersten Süden der Stadt und direkt am Rhein gelegen. Ursprünglich ein Fischerdorf, das Handel mit dem Bergischen Land betrieben hat. Beruflich bin ich geprägt durch meine 12-jährige Tätigkeit für einen Caritas-Träger des Bistums Köln. Auch in dieser Funktion bin ich in vielen kleineren und mittelgroßen Orten unterwegs gewesen, die viele von der Landkarte kennen dürften: Waldbröl, Eitorf, Sank Augustin.
Mir geht es hier großartig: Die Menschen sind genauso integer-gradlinig und rundheraus ehrlich wie die Menschen in Westfalen und gleichzeitig so herzerfrischend warmherzig und gutgelaunt-fröhlich wie die Kölnerinnen und Kölner. Eine lebensfrohe Mischung zum Wohlfühlen. Dafür nehme ich die Stunde Zugfahrt extra gerne in Kauf.
In Ihrem Statement für die Caritas-Organisation "SpendenStiftenStrahlen" fragen Sie: "Möchten Sie in einer "anständigen Gesellschaft" leben? und antworten: "Eine anständige Gesellschaft misst sich daran, dass sie ihre Mitglieder nicht demütigt (Avishai Margalith)." Warum haben Sie dieses Zitat von Margalith gewählt? Was bedeutet es für Sie?
Avishai Margalith ist ein israelischer Sozialphilosoph, der sich in seinem Buch "The Decent Society" mit Gerechtigkeitstheorien auseinandersetzt. Gerechtigkeit kann für Margalith erst entstehen, wenn eine Gesellschaft eine "anständige Gesellschaft" ist. Die staatliche Wohlfahrtsgesellschaft empfindet er als nicht (jedenfalls nicht wirklich) anständig, da sie doch die Bedürftigen in ein Abhängigkeitsverhältnis zwinge, das ihnen über kurz oder lang ihre Selbstachtung raube.
Die Utopie, die er entwirft, ist die einer barmherzigen Wohltätigkeitsgesellschaft. Und hier erkenne ich die Verknüpfung zu unserer Aufgabe als Caritas: Als Beistand für die Sicherstellung von Menschenwürde und Selbstachtung des Einzelnen im freiheitlichen Verfassungsstaat, als Garant einer wertgebundenen Gesellschaft mit der Menschenwürde als christlichem Fundamentalwert.
Als Rechtsanwältin bin ich auf diese Verfassung vereidigt. Und als "Caritäterin" erkenne ich mich in dem Mission Statement der Caritas wieder: Wir, die Mitarbeiter:innen der Caritas, sind da für Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen: Für ihre Anliegen, Nöte und Rechte. Wir setzen uns ein für sie und für eine solidarische Welt, in der die Würde jedes und jeder Einzelnen geachtet wird.
Als Vorständin tragen Sie in erster Linie auch die Verantwortung für das wirtschaftliche Ergebnis des Verbandes. Wirtschaftlichkeit in einem christlichen Unternehmen: Ist das nicht ein Widerspruch?
Von meinem langjährigen Geschäftsführer und Vorbild, Franz Josef Stoffer, habe ich den Leitsatz übernommen: "Ohne Wirtschaftlichkeit ist ein christliches Haus nicht zu halten, aber ohne Menschlichkeit ist es darin nicht auszuhalten." Uns allen geht es bei der täglichen Arbeit besser, wenn wir in einem wirtschaftlich gut strukturierten und nachhaltig aufgestellten Unternehmen unsere Arbeitsleistung einbringen können. Alle Mitarbeitenden, auch ich selbst, möchten sich darauf verlassen können, dass das Rückgrat des Trägers vernünftig konstruiert und nicht fragil und zerbrechlich ist: Der Träger trägt! Das ist die Aufgabe des Unternehmens Caritas: Die Mitarbeitenden in den sozialen Berufen sollen sich keine existenziellen Sorgen machen müssen. Sie sollen sich auf ihre Arbeitgeberin Caritas verlassen dürfen und sich vollumfänglich dem Gegenüber widmen: den Menschen mit ihren jeweiligen Bedürfnissen. So gesehen ist die Wirtschaftlichkeit für uns Mittel zum Zweck: Sie ermöglicht uns die soziale Arbeit auf hohem fachlichen Niveau und spannende Investitionen in soziale Innovationen. Idealerweise erbracht und erdacht von überzeugten Caritas-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in ihren Themen absolute Expert:innen und Vordenker:innen sind.
Sie haben sich mit 50 für ein Studium entschieden? Ist das nicht ungewöhnlich?
Ja, das Studium ist für mich purer Luxus. Ich habe es mir selbst zum 50. Geburtstag geschenkt. Nach 20 Jahren Berufstätigkeit in drei unterschiedlichen Führungspositionen hatte ich mir zum Ziel gesetzt, meine bisherigen Erfahrungen einmal gründlich und mit fachlicher Expertise zu reflektieren und mich mit frischem Wissen und neuen persönlichen und wissenschaftlichen Erkenntnissen auf die nächsten Jahre, vielleicht nochmal 2 Jahrzehnte, in Verantwortung für Menschen vorzubereiten. Daher fiel die Entscheidung für die Arbeits- und Organisationspsychologie. Als angewandte Wissenschaft kann ich in diesem Fach meine echten beruflichen Erlebnisse mit wissenschaftlich fundiertem Know How zusammenbringen. Ich spüre für mich persönlich große Fortschritte und möchte selbstverständlich auch alle Mitarbeitenden daran teilhaben lassen. Im ersten Jahr habe ich mich neu mit Führungstheorien - diesmal aus psychologischer Sicht - auseinandergesetzt und nun kann ich die Leitungskräfte der Pflege bei ihrer Fortbildung in "Transformierender Führung" unterstützen. Davon werden hoffentlich alle Mitarbeitenden unserer Altenhilfeabteilungen profitieren. Im zweiten Jahr lag mein persönliches Interesse auf den Motivationstheorien: Was treibt Menschen an? Was macht glücklich? Wann empfinden wir Freude bei der Arbeit?
Frau Krones, Sie sind bei zwei anderen großen Trägergesellschaften langjährig in leitender Funktion gewesen. Wie würden Ihre ehemaligen Mitarbeitenden Sie beschreiben?
Oh, das ist eine schwierige Frage. Ich kann selbstverständlich nicht in ihre Köpfe schauen. Ich hoffe, dass sie mich als stets freundliche Vorgesetzte, die sie jederzeit ansprechen konnten, in Erinnerung haben. Ebenso als kompetente Vorgesetzte, die sie mit Visionen, Ideen, Fragen und Motivation inspiriert hat. Die hinter ihnen stand, wenn es mal schwierig wurde. Die anspruchsvoll war und sie zu exzellenten Leistungen herausgefordert hat. Ich wünsche mir, dass sie sich an gemeinsame Erfolge erinnern, die wir miteinander geteilt haben. Zum Beispiel die Preise der Berufsgenossenschaft bgw oder Great place to work. Dass sie sich an meine klare Haltung und Menschlichkeit erinnern. In einem 360° Interview habe ich einmal anonymes Feedback von 15 Mitarbeitenden erhalten und war erstaunt, wie oft die Vokabel eloquent vorkam, aber erfreulicherweise auch die Vokabeln innovativ, ehrlich, herzlich, begeisterungsfähig, konstruktiv und pragmatisch. Auch "ausgeprägter Gerechtigkeitssinn" fand sich darin. Das hat mir gut gefallen.
Und woran denken Sie, wenn Sie "Motivationskünstlerin" genannt werden?
(An dieser Stelle lacht Frau Krones.)
Ja, die "Motivationskünstlerin" hat die Journalistin Anette Dowideit für mich erfunden. Sie hat viel über Themen der Altenhilfe veröffentlicht und war auf der Suche nach einer Personalmanagerin der Altenhilfe, die sich für einen Artikel in der "Welt" porträtieren lässt. Sie kam in ihrer Recherche auf mich. Wir hatten ein langes Gespräch. Bevor ich mich mit der Veröffentlichung des Portraits einverstanden erklärt habe, war meine Bitte, dass sie sich eine schöne Überschrift für das Portrait einfallen lässt. Und sie hat mich mit einer wirklich schönen Überschrift überrascht. An diesem Anspruch muss ich mich jetzt selbstverständlich messen lassen. Wir haben später noch einmal zusammen gearbeitet in einem Artikel für das Personal-Magazin. Es ging um das Thema Liebe am Arbeitsplatz. Und sie war sehr froh, in mir eine Vorgesetzte gefunden zu haben, die dem Thema offen und positiv gegenübersteht. Ich finde, wir machen an vielen Stellen Erfahrungen, dass es toll ist, wenn wir (Ehe-) Paare in unseren Einrichtungen und Diensten haben. So wächst doch schließlich auch das Verständnis für den jeweils anderen Arbeitsbereich. Hoffe ich jedenfalls. (lacht wieder)
Sie haben sich intensiv mit Fragen rund um das Leben in der Phase der Hochaltrigkeit und mit dem Thema Demenz beschäftigt. Wenn Sie Ihre Zukunftsvision entfalten würden von einem guten Leben mit Demenz: "Ich wünsche mir . . ."
Ich wünsche mir eine freundliche Gesellschaft, in der alle Menschen aufeinander achtgeben. Eine Umgebung, in der sich Menschen mit dementiellen Veränderungen oder mit Behinderung ohne Angst bewegen können und von ihren Mitmenschen aufmerksame Begleitung erfahren. Ich wünsche mir eine Selbstverständlichkeit, Mitverantwortung für andere zu übernehmen. Wenn alle mitmachen, ist das Päckchen für jede:n Einzelne:n auch nicht zu groß. Ich wünsche mir, dass in Zukunft alle Menschen ein wenig Verständnis für demenzielle Veränderungen erwerben und wir mit diesem Grundverständnis auch mehr Handlungssicherheit im Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen entwickeln. Und wenn es denn zu Hause nicht mehr geht: Ich wünsche mir für mich die Sicherheit, dass ich die Geborgenheit einer professionellen Hilfe und Begleitung im stationären Setting in Anspruch nehmen kann. Dort auf sehr gut qualifizierte und sanfte Mitarbeitende treffe, die mich respektvoll, einfühlsam und fachlich auf hohem Niveau in meiner letzten Lebensphase begleiten. Ich möchte nicht einsam sein, sondern mit Lachen und Musik, im Duft guten Essens und in Gemeinschaft fröhlich dement sein dürfen.
Das Leben mit Hochaltrigkeit: Wenn wir an die großen Themen unserer Zeit denken, Gesellschaft im demographischen Wandel, Fachkräftemangel in der Pflege, stehen wir da nicht vor riesengroßen Herausforderungen?
Ich habe auf diese Frage einmal geantwortet: "Es ist eine Herkules-Aufgabe, unsere heutige Gesellschaft auf das Älterwerden vorzubereiten." Meine Antwort ist ähnlich gemeint wie das Zitat des Autors Frank Schätzing, das aktuell diskutiert wird: "Wenn ich einen Planeten retten muss, ist mir (...) egal, wie viel das kostet."
Die Antwort ist also: Think Big! Wenn wir in Deutschland sagen, es fehlen uns 250.000 oder mehr Fachkräfte, dann klingt das in unseren Ohren wahnsinnig viel. Wenn wir aber größer denken und in die Welt schauen, dann sehen wir: es gibt viele Menschen, die gerne in einem Pflegeberuf bei uns ausgebildet werden würden und uns dabei unterstützen möchten, für unsere wichtigsten Menschen, unsere nächsten Angehörigen, zu sorgen, wenn sie älter und unterstützungsbedürftig werden. Ich habe in diesem Zusammenhang einmal formuliert: "Jeder Mensch ist ein Geschenk." Damit war gemeint, jeder Mensch, der zu uns kommt und uns bei dieser Aufgabe unterstützen möchte, ist ein Geschenk für uns. Und wenn wir ihr oder ihm auch so begegnen, dann schaffen wir das auch gemeinsam. Mit neuen Konzepten, differenzierten Angeboten, innovativen Möglichkeiten und Ideen und einem großen zivilgesellschaftlichen Engagement sind wir gut aufgestellt.
Da sind wir in den Kreisen Westerwald und Rhein-Lahn eine Modellregion mit vielen tollen Potenzialen.